Von Heinz Horrmann
Mit einem wahren Paukenschlag für die Berliner Gastronomie verlief die Vorstellung des neuen Guide Michelin in Babelsberg, der Führer, der wegen seiner Ausnahmestellung auch „rote Bibel“ genannt wird. Die Spree-Metropole Berlin hatte schon seit etlichen Jahren die meisten Sterne-Restaurants im Lande.
Jetzt sind mit einem Schlag drei weitere dazugekommen. Ein Tusch für diese erneute Aufwertung. Da spielt es auch keine Rolle, dass mit dem Les Solistes im Waldorf-Astoria ein Stern verloren ging, nach dem die Zusammenarbeit mit dem für mich besten Koch der Welt, Pierre Gagnaire, beendet wurde.
Wer sind nun die Glücklichen, die mit der Auszeichnung viel Ehre und echte Marketing-Unterstützung bekommen? Da ist einmal das Tulus Lotrek mit dem Küchenchef Max Strohe, dann das edle Golvet mit dem Zauberer am Herd, Björn Swanson und zum ersten Mal ein vegetarisches Restaurant mit dem Cookies Cream und Stephan Hentschel als Küchenchef. Das ist zwar überhaupt nicht meine Richtung, aber ich finde es gut, dass der Michelin bundesweit zwei vegetarische Restaurants ausgezeichnet hat, weil es auch in diesem Bereich ständig steigendes Interesse gibt.
Es ist ein deutlicher Erfahrungswert, dass in jedem Jahr ein Drei-Sterne-Koch, also einer im Koch-Olymp, hinzukommt. Mit der diesjährigen Wahl hatte wohl kaum einer gerechnet. Es ist Jan Hartwig, Küchenchef im Restaurant Atelier im Münchener Bayrischer Hof. Im letzten Jahr bekam er den zweiten und wurde nun in diesem Jahr für seine Küchenleitung gekrönt.
Insgesamt kommen wir auf die noch nie erreichte Höchststand-Marke von 300 Sternerestaurants in Deutschland, aber trotz dieses historischen Rekords hat die deutsche Edelgastronomie gerade mal die Hälfte der französischen Köche im Nachbarland. Allerdings ist Deutschland weltweit die Nummer zwei, hinter Frankreich. Und bei dem Sterne-Segen steht unter dem Strich eine grandiose Werbung für Berlin. Die Genussmenschen und Gäste in der Stadt dürfen sich über die Jahr für Jahr verbesserte Restaurantszene freuen. Als ich vor einem Vierteljahrhundert an die Spree kam, dominierte die Boulette-Eisbein-Ausrichtung, Edel-Küchen gab es gerade mal zwei. Heute sieht die Gesamtbilanz in Berlin so aus: Sieben Restaurants mit zwei Sternen, 14 mit einem Stern, aber leider immer noch kein Drei-Sterne-Restaurant.
Die Bewertung der Michelin-Tester wird zumeist akzeptiert, weil alle Tester in der Riege Küchenmeister oder Köche sind und unbeeinflusst urteilen können. Das ist der große Unterschied beispielsweise zum Gault Millau, wo in jeder Stadt ein Auftragstester, auch mal ein Metzger oder Journalist, loszieht. Damit ist natürlich gegeben, dass bei den überall unterschiedlichen Erwartungshaltungen der Einzelnen wahrlich keine perfekte Gesamtlage entstehen kann.
Das Geschäft mit den Gastro-Führern boomt, seit die Lust am Essenserlebnis die Deutschen in breitem Maße beglückt, während einst nur eine kleine Gourmet-Gemeinde Küchenfreuden genoss. Weil heute in fast jedem Haushalt mit Vielreisenden und in jedem Büro ein Restaurant-Führer steht, werden Verrisse und schlechte Bewertungen für Küchen und Hotels oft zum existentiellen Problem. Die meisten Gastronomen ohne Auszeichnungen fühlen sich ungerecht bewertet, die aber im Licht der Sterne stehen, registrieren ein ansehnliches Umsatzplus. Haben sie sich auch verdient.