Porsche 911 Turbo S Cabriolet

Ein US-Roadtrip

Von Wolfgang Wieland

Bis eben war es noch mucksmäuschenstill. Dann schlägt die Kirchturmuhr neun Mal. Es ist Punkt neun Uhr morgens, im rund um die Uhr verschlafenen Dörfchen namens Luzerne, mit seinen rund 3.000 Einwohnern, die sich auf 1,8 Quadratkilometer verteilen. Wenn man jetzt Schweizer Berge, Käsespezialitäten und den Vierwaldstättersee vermutet, denkt man sicherlich an die eidgenössische Stadt und den gleichnamigen Kanton Luzern, ohne „e“ am Ende. Geografisch gesehen sind wir aber rund zehneinhalb Flugstunden entfernt, denn wir befinden uns im US-Bundesstaat Pennsylvania. Aber kulturell gesehen sind Luzerne und Luzern wohl eher mehrere Welten auseinander. Dieses Luzerne in Pennsylvania hat für unseren Roadtrip einen großen Vorteil, denn hier liegen im Umkreis von wenigen Dutzend Meilen auch noch zahlreiche andere Örtchen und Städte mit europäischen Namen, wie Rome, Milan, Belfast, Athens, Vienna, Verona, Frankfort, und, und, und. Und die fahren wir jetzt mal alle ab.

Trotz der frühen Stunde brennt bereits die Sonne auf den Asphalt. Im Schatten sind es jetzt schon 36 Grad, und es wird noch heißer. Eigentlich kein Wetter zum Cabriofahren, aber der Porsche 911 Turbo S mit seinen atemberaubenden 580 PS wird schon für den nötigen Fahrtwind sorgen. Und der Lichtschutzfaktor 50 in der Sonnencreme sollte vor unfreiwilligen Häutungen bewahren.

 

Beim Durchfahren von Rome und Milan waren wir eigentlich voller Erwartung etwas Italienisches oder wenigstens etwas Europäisches zu erblicken. Etwas Architektur, einen Kirchturm à la Mailänder Dom oder ein Miniatur-Kolosseum oder -Vatikan. Aber nichts dergleichen wird geboten. Nur die üblichen Ein- bis Zweigeschosser aus bemalten Spanplatten, wie man sie überall zwischen New York und Los Angeles antrifft. Selbst bei der Touristen-Information zuckt man beim Stichwort „europäische Wurzeln“ nur mit den Achseln. Nur in Luzerne verweist man wenigstens und auch etwas stolz auf das Gründungsjahr 1807. 

 

An der örtlichen Tankstelle „Dandy Gas-N-Go“ wird man von einem freundlichen Pappkameraden mit gezwirbeltem Bärtchen herzlich und mit gezogener Melone begrüßt. Nach vollzogenem Tankvorgang verlassen wir den herrlich unaufgeräumten Kassenraum ebenfalls mit einem Lächeln, denn wie man es aus den USA gewohnt ist, kostet hier der Liter Super umgerechnet nur rund 50 Cent. Da schmerzt das Gasgeben mit dem theoretisch (in den USA) und in Deutschland auch praktisch 330 km/h schnellen Oben-ohne-Boliden das Portemonnaie nicht so sehr. Was man vom Einstiegspreis des zurzeit schnellsten Porsche-Cabrios nicht gerade sagen kann, denn der liegt bei saftigen 218.223 Euro. Wobei man fairerweise erwähnen sollte, dass beim Turbo S Cabrio die Serienausstattung schon sehr üppig ist. Das Siebengang-Doppelkupplung-Getriebe, Allradantrieb, das Sport-Chrono-Paket, Keramik-Bremsen, LED-Lichter und vieles mehr sind bereits im Grundpreis enthalten. Nur die wunderschöne Außenlackierung in Karminrot kostet noch zusätzliche 2.653,70 Euro. 

 

Etwas außerhalb der letzten Urbanisation flimmert kerzengerade und meilenweit der aufgeheizte Asphalt. Eigentlich klassisch „in the middle of nowhere“ wagen wir jetzt mal den Sprint aus dem Stand, also von null auf 100 km/h. Für die optimale Beschleunigung hilft hier die Launch Control des Sport-Chrono-Pakets. Das Prinzip ist denkbar einfach: Sport-plus-Taste an, ESP-Taste aus. Dann tritt man mit dem linken Fuß auf die Bremse, danach mit dem rechten Fuß auf das Gaspedal, jeweils komplett durchgedrückt. Die Drehzahl kreischt bei rund 5.100 Umdrehungen. Dann nimmt man blitzschnell den Fuß von der Bremse, bleibt aber voll auf dem Gas und der brachiale Vortrieb katapultiert den 1,7-Tonner in glatten drei Sekunden auf Tempo 100. Und weiter in 6,8 Sekunden auf Tempo 160. Dann brechen wir ab, denn schließlich zeigt hier die erlaubte Höchstgeschwindigkeit die üblichen 55 Meilen, also 88 km/h auf dem schwarz-weißen Schild an. 0-200 km/h wäre so aber locker in unter zehn Sekunden gegangen.

Zeit für ein typisches amerikanisches Mittagessen am Wegesrand, mit Hamburgern, Pommes frites und Cola. Und wenn die Namen der Städte auch noch so europäisch sind, schweizerische oder italienische Spezialitäten sucht man vergebens. Kein getrocknetes Bündnerfleisch, keine Spaghetti und schon gar keine Parmesan, geschweige denn Parmerschinken. Nicht einmal Pizza, die ja sonst über all in den USA zu haben ist, wird hier angeboten. Nichts für ungut! Wir treffen nun den Franzosen Patrick Pilet und den Briten Nick Tandy. Die beiden Porsche-Werksfahrer nehmen parallel ein typisches Rennfahrer-Menu zu sich: Salat ohne Dressing und stilles Wasser. Prost und guten Appetit! Die gewichtsoptimierten Jungs bereiten sich gerade auf die nächsten Renneinsätze vor. Mit ihren 510 PS starken Saugmotoren im 1.243 Kilogramm leichten 911 RSR treten sie bei der „IMSA WeatherTech SportsCar Championship“-Rennserie an. Hier treten die Zuffenhausener gegen die Turbomotoren von Ford, Chevrolet, BMW und Ferrari an. Wie erfolgreich Nick Tandy schon im Rennsport war, kann man am seinem Handgelenk erkennen. Hier glänzt eine Rolex Daytona in Edelstahl mit schwarzem Zifferblatt und einer Gravur auf der Rückseite: „Daytona 24 Winner 2014“. Die besonders weltvollen und sammelwürdigen Uhren bekommen nur die Gewinner der 24-Stunden-Rennen von Daytona und von Le Mans. Und ja, Nick hat auch schon in Le Mans den Gesamtsieg eingefahren, das war 2015.

 

Nach dem Lunch haben wir auch hier deutsche Sommertemperaturen erreicht und die Mittagshitze brennt so sehr, dass wir entscheiden, das mehrlagige Stoffverdeck zu schließen. Das geht auf Knopfdruck in unter zehn Sekunden. Und auch noch während der Fahrt, bis zu 50 Stundenkilometern. Dank der schnell kühlenden Klimaanlage, aus der gefühlt Eiswürfel purzeln könnten, cruisen wir easy, locker und leichtfüßig bis in den malerischen Sonnenuntergang nordwestlich von New York. Europa kann ja so schön sein, auch wenn Rome, Milan, Luzerne & Co. außer ihren Namen nun auch gar nichts mit den Originalen bei uns zu tun haben.