Bentley Birkin Blower

Ein gewaltiger Traum von 1929

Von Wolfgang Wieland

Das raue Brabbeln kommt immer näher. Schließt man die Augen, schießt einem der Gedanke an einen heranrollenden Panzer durchs Hirn. Oder ist es eher ein schwerer Bagger mit dampfenden 1.000 PS? Aber nicht doch, weder das Militär, noch die Baukolonne rückt an, sondern ein edles Gefährt mit großen Reifen und noch größerem Namen. Ein traumhafter und legendärer Bentley 4 ½ Litre Supercharged, kurz „Blower“ genannt, fährt vor. Am Steuer sitzt ein nicht minder legendäres Bentley-Urgestein, der Markenbotschafter Richard Charlesworth, der sich auch schon mal um die Sonderwünsche der prominenten Kundschaft kümmert. Zu allererst ist hier die Queen zu erwähnen, die im Laufe der letzten Jahrzehnte den sympathischen Schnauzbartträger immer wieder mal zu Gesprächen über einen neuen Bentley empfangen hat.

 

Standesgemäß in racing-green gehalten und mit einem auffälligen Reserverad außen an der linken Fahrzeugseite befestigt, wurde der nun vor uns stehende Rennwagen im Jahr 1929 im Hause Bentley in Handarbeit gefertigt. Das Besondere ist hier, dass es sich um einen sogenannten Birkin Blower handelt, der im harten Renneinsatz zu keiner Zeit geschont wurde. Übrigens wurden insgesamt nur fünf Stück hiervon gebaut. Die Brüder Tim und Archie Birkin gehörten zu den berüchtigten Bentley-Boys, die mit viel Geld und noch mehr persönlichem Engagement zahlreiche wichtige Rennsiege errangen und so Bentley zu einem ernstzunehmenden Gegner bei Hochleistungsrennen gegen die starke Konkurrenz aus Frankreich und Italien machten. Die Krönung war ein Sieg von Tim Birkin, ebenfalls im Jahr 1929, beim traditionellen 24-Stunden-Rennen von Le Mans.

 

1930 trat Tim Birkin mit „unserem“ Blower, dem Birkin-Team-Car No.2, in fünf bedeuteten Rennen und auch wieder in Le Mans an. Mit dieser nahezu einmaligen Rennhistorie hätte das wohl letzte verbliebene Birkin-Team-Auto mit der Chassis-Nummer HB 3404 und dem britischen Kennzeichen UU 5872 eigentlich einen begehrten Platz im Bentley-Museum verdient. Dort würde der Erfolgs-Renner dann sicherlich wöchentlich abgestaubt, aber dank einer Versicherungssumme von 25 Millionen Britischen Pfund wagt Bentley auch heute noch den Einsatz auf der Rennstrecke oder aber auch bei Oldtimer-Rallyes wie der Kitzbüheler Alpenrallye. Das ist unsere Chance hier einsteigen zu dürfen und drei abenteuerliche Tage auf engstem Raum zu erleben.

 

Zum Erklimmen gibt es nur eine kleine Tür auf der linken Seite, gleich hinter dem eingangs erwähnten Reserverad mit Zentralverschluss. Der Fahrer, der ja bei den Briten traditionell rechts sitzt, muss sich nun zuerst mit angezogenen Beinen über den linken Beifahrersitz rutschend auf seinen schmalen Ledersitz hinter dem riesigen Bakelit-Lenkrad zwängen.

 

Da auch im Fußraum nur begrenzt Platz vorhanden ist, eine ganz schöne Einfädelei. Apropos Fußraum, die Pedalerie ist auch eher gewöhnungsbedürftig angeordnet: links Kupplung, mitte Gas, rechts Bremse. Gas und Bremse tauschten erst ab Modelljahr 1930 die Plätze. Für Technikverliebte ist das Armaturenbrett eine echte Augenweide. Auf sage und schreibe neun mechanischen Anzeigen mit zwölf kunstvoll gefertigten Zeigern kann man auf mattschwarzen Blättern die unterschiedlichsten Daten einsehen. Auf der Beifahrerseite fallen uns zwei Öltropfhähne unter Glashauben auf. In jedem der Gefäße läuft pro Sekunde ein Tropfen Öl durch ein Sieb, um dann direkt die Wellen des Kompressors mit der zwingend notwendigen Schmierung zu versehen. Mit einem satten Rumms fällt die Tür wieder ins Schloss, es kann losgehen.


Zum Starten des Vierzylinder-Triebwerks mit 178 kW/242 PS wurde schon damals nur ein Knopfdruck benötigt. Nur ist dieser nicht aus gebürstetem Aluminium, glänzendem Glas oder geflochtenem Karbon, sondern aus massivem Messing. Ein Ruck geht durch den eigentlich nur 4,38 Meter langen Wagen und eine gewaltige blau-schwarze Qualmwolke entfleucht dem 40 cm breiten, aber nur 2,5 Zentimeter hohen Auspuffendrohr. Es ertönt eine ohrenschmeichelnde Symphonie, die den Sportwagen-Charakter nochmals deutlich unterstreicht. Das wohlige Gänsehautgefühl durchzieht den ganzen Körper, man erlebt eine gefühlte Zeitreise in die 1920er-/1930er-Jahre. Mit einem kräftigen Händedruck wird die ein Meter lange, außenliegende Handbremse gelöst, wir rollen. Der Anzug im ersten Gang ist erstaunlich, schließlich besteht der BBB aus knapp zwei Tonnen Stahl, Aluminium, Holz und Leder.

 

Da das Viergang-Handschaltgetriebe mit der Einscheiben-Trockenkupplung komplett unsynchronisiert ist, wird jeder Schaltvorgang mit dem Hecktriebler zur Schwerstarbeit: Kupplung treten, erster Gang raus, Kupplung treten, zweiter Gang rein, Kupplung kommen lassen und Gas geben, viel Gas geben. Der eigentliche Ablauf sitzt schnell, da aber auf kurvenreichen Alpenstraßen ständig geschaltet werden muss, ist man ständig in Action. Dazu kommt viel Fahrwind, da die beiden kleinen und unterschiedlich geformten Windschutzscheiben ihren Namen nun wirklich nicht verdient haben. Der Wind wird dann schnell zum Sturm, mitten im Gesicht von Fahrer und Beifahrer, denn auf der Autobahn geht der Super-Oldie doch glatt noch immer 200 Sachen! Fazit: Ganz großes Kino mit einem gewaltigen Traum aus Historie, viel Stahl und noch mehr Emotion.